Anna schlenderte durch den alten Bücherladen, bli
Author:unloginuser Time:2025/02/10 Read: 6190Anna schlenderte durch den alten Bücherladen, blieb mal vor dem einen oder anderen Regal stehen und zupfte einige Bücher heraus. Ein leichtes Lächeln legte sich über ihrem Gesicht. Sie musste willkürlich an Großvater denken. In den letzten Monaten vor seinem Ableben war er nicht mehr in der Lage, so wie er es immer hielt, Ordnung in seinem kleinen Laden zu bringen. Seine alten Knochen wollten nicht mehr, wie er wollte, trotz alledem stand er jeden Tag pünktlich in seiner Buchhandlung. Seine Stammkunden wussten es zu schätzen, dass er immer noch für sie da war, auch wenn er keine Buchbestellungen mehr tätigte. Er hatte immer das Unmögliche möglich gemacht, wenn jemand ein besonderes Buch bestellte. Meistens saß er in der kleinen Leseecke. Sie konnte sich noch gut daran erinnern, wie er jeden Tag nach Ladenschluss mit einer Tasse Tee unter der Lampe gesessen hatte und mit einem Federstift in seinem Tagebuch oder wie er es nannte sein Heiligtum geschrieben hatte. Anschließend schloss er das Büchlein ab und legte es weg, dann durfte sie auf seinen Schoß krabbeln und er las ihr eine Geschichte vor. Nach dem unerwarteten Tod ihrer Eltern hörte er auf in seinem Heiligtum zu schreiben, sie hatte es nie wieder gesehen. Wenn sie danach fragte, hieß es, er und das Buch seien schuld am Tod der Eltern.
Anna schlenderte durch den alten Bücherladen, dessen Duft nach Vanille und vergilbtem Papier sie in ihre Kindheit zurückversetzte. Sie blieb mal vor dem einen oder anderen Regal stehen, zupfte einige Bücher heraus – ein leichtes Lächeln umspielte ihre Lippen. Unwillkürlich dachte sie an Großvater, dessen Geist in jedem verstaubten Band zu wohnen schien. In den letzten Monaten seines Lebens, bevor der Tod ihn wie ein Schatten heimgesucht hatte, war er nicht mehr in der Lage gewesen, die Ordnung in seinem kleinen Laden zu halten, die er einst mit so liebevoller Pedanterie gepflegt hatte. Seine alten Knochen wollten nicht mehr, wie er wollte, doch trotz aller Schmerzen stand er jeden Tag pünktlich in seiner Buchhandlung, ein Leuchtfeuer der Beständigkeit in einer Welt der Eile. Seine Stammkunden schätzten es, dass er immer noch für sie da war, auch wenn er keine Buchbestellungen mehr tätigte. Denn Großvater hatte immer das Unmögliche möglich gemacht, wenn jemand ein besonderes Buch bestellte – ein Buch, das längst vergessen schien, ein Buch, das nur er zu finden vermochte.
Meistens saß er in der kleinen Leseecke, inmitten eines Schatzes von Geschichten. Anna erinnerte sich noch genau, wie er jeden Abend nach Ladenschluss mit einer Tasse Tee unter der Lampe gesessen hatte und mit einem Federstift in seinem Tagebuch, seinem „Heiligtum“, wie er es nannte, geschrieben hatte. Ein kleines, ledergebundenes Buch, das er sorgfältig verschloss und weglegte, bevor er sie auf seinen Schoß krabbeln ließ und ihr eine Geschichte vorlas – eine Geschichte aus einem anderen Reich, aus einem Land, in dem sprechende Bäume und tanzende Sterne wohnten.
Nach dem unerwarteten Tod ihrer Eltern hörte er auf, in seinem Heiligtum zu schreiben. Anna hatte es nie wieder gesehen. Wenn sie danach fragte, stieß sie auf ein Schweigen, das schwerer wog als Worte. Man flüsterte nur, er und das Buch seien schuld am Tod der Eltern. Ein dunkler Zauber, so hieß es, habe sich um sie gelegt.
Doch Anna glaubte nicht an den Fluch. Sie spürte die Wärme seines Geistes in jedem Buch, in jedem Staubkorn des Ladens. Eines Tages, als sie in der hintersten Ecke ein verstaubtes Regal untersuchte, entdeckte sie es – das kleine, ledergebundene Buch. Es pulsierte leicht in ihren Händen, ein sanftes Leuchten umspielte die goldenen Buchstaben auf dem Einband. Vorsichtig öffnete sie es.
Keine Worte waren darin zu finden, nur zarte, leuchtende Zeichnungen – Bilder von einem Königreich, das von einem vergessenen Zauber erfüllt war. Bilder von ihren Eltern, lächelnd und glücklich, Hand in Hand mit einem alten, gütigen Mann, der ein Buch in den Händen hielt. Es war ein Bild der Erinnerung, nicht der Schuld. Der Tod ihrer Eltern war ein Unglück, kein Fluch. Und Großvaters „Heiligtum“ enthielt nicht den Fluch, sondern die Liebe, die er in jedem Strich festgehalten hatte – eine Liebe so stark, dass sie selbst den Tod überwinden konnte. Anna schloss das Buch sanft und wusste, dass die wahre Magie nicht in Flüchen, sondern in der Liebe lag, die in den Geschichten, und in den Herzen der Menschen, weiterlebt.